Die Einordnung der beiden Ansätze
Six Sigma und Lean Management werden häufig getrennt voneinander eingesetzt. Dabei gibt es großes Potential für Synergien, wenn beide Frameworks miteinander kombiniert werden. In diesem Blogartikel gehen wir der Frage nach, was Lean Management und Six Sigma voneinander unterscheidet und warum sich beide Ansätze sehr gut ergänzen.
Der Kunde mit seinen individuellen Bedürfnissen ist entscheidend - das gilt für Lean wie für Six Sigma. Six Sigma jedoch fordert - im Gegensatz zu Lean - bereits in der Definitionsphase eines Projekts die Stimme des Kunden (Voice of the Customer) einzubeziehen und versucht diese gezielt in sogenannte Critical-to-Quality-Parameter und zugehörige messbare Kenngrößen zu übersetzen. Alternativ werden hierfür auch Methoden wie das Kano-Modell oder das Quality-Function-Deployment eingesetzt.
Lean Management möchte Werte möglichst ohne Verschwendung schaffen. Dabei geht es typischerweise um lange Wartezeiten, häufige Rückfragen, unnötige Transportwege und aufwendige Nacharbeiten, die reduziert bzw. eliminiert werden sollen. Allerdings geht es selten darum, Variationen zu reduzieren und einen Prozess unter statistische Kontrolle zu bringen. So können zum Beispiel Variationen in den Prozesszeiten zu einem erheblichen Anstieg der Durchlaufzeiten und Work-In-Process (WIP)-Positionen führen. Six Sigma dagegen betrachtet die Reduktion von Variationen jeder Art als Schlüssel zur Verbesserung und bietet von der statistischen Prozesskontrolle bis zur Versuchsplanung ein breites Methodenset, um Variationen von Produkteigenschaften oder Prozesskenngrößen zu reduzieren.
Unternehmen, die nur Lean Management anwenden, sind manchmal nicht in der Lage, die gesamte Organisation zu durchdringen und nachhaltige Ergebnisse zu erzielen. Es fehlt ihnen an einer klar definierten Six Sigma-Projektmanagement-Organisation und -Infrastruktur. Hierzu gehört z.B. die Auswahl der Projekte nach definierten Kriterien vorzunehmen, die Ausbildung der Mitarbeiter mit Qualifikationsstufen (White, Yellow, Green, Black Belt) zu formalisieren, mittels Meilenstein-Meetings den Projektfortschritt transparent zu machen sowie Senior- bzw. Top-Management einzubinden.
Die meisten Beschreibungen von Lean-Methoden tauchen direkt in die Verbesserungsphase ein, gehen direkt zu Lösungen über und überspringen die Definitions- und Messphase. Ohne den Schritt "Definieren", in dem das Problem beschrieben und Ziele festgelegt werden, und die Phase "Messen", in der quantifiziert wird, wie groß das Problem ist, verliert man sich jedoch leicht in Verbesserungsaktionen ohne klares Ziel. Deshalb hat es sich in der Praxis bewährt, Lean-Projekte nach dem DMAIC-Prozessmodell (Define-Measure-Analyse-Improve-Control) auszurichten.
Lean bietet mit seinen Werten und Prinzipien einen klaren Handlungsrahmen für die gesamte Organisation. Einen solchen ganzheitlichen, systemischen Aspekt bietet Six Sigma hingegen nicht. Beispiel für ein „Lean House“ mit seinen Werten und Prinzipien.
Prozess-Mapping ist ein Werkzeug, das auch im Rahmen von Six Sigma-Projekten eingesetzt wird. Ein Six Sigma-Projekt beschränkt sich dabei meist auf die Darstellung der nötigsten Prozessschritte und -kenngrößen mittels einer vereinfachten SIPOC-Darstellung (Supplier-Input-Process-Output-Customer). Six Sigma schreibt jedoch nicht die Erfassung derjenigen Daten vor, die notwendig sind, um zu quantifizieren, welche Prozessschritte einen besonders hohen Anteil an Verschwendung für das Erbringen einer Dienstleistung oder eines Produkts verursachen. Zu diesem Zweck bietet Lean die Analyse des Wertstroms mittels der Methode Value Stream Mapping (VSM), die Verschwendung, Wartezeiten und nicht ausgeglichene Kapazitäten entlang des Wertstroms klar aufzeigt.
Six Sigma stellt weder eine praktische noch eine theoretische Verbindung zwischen Qualität und Geschwindigkeit her und geht auch nicht auf die Höhe des WIP oder der Prozessgeschwindigkeit ein. Spezifische Werkzeuge wie Zeitwertanalysen, Tätigkeitsstrukturanalysen, Taktprofile usw. sind nur selten in einem Six Sigma-Werkzeugkasten enthalten.
Zu den Lean-Methoden gehören schnelle, gezielte Verbesserungsmethoden wie Kaizen-Events oder Quick Response Quality Circle (QRQC). Dies sind kurze, intensive Veranstaltungen, bei denen sich ein funktionsübergreifendes und interdisziplinäres Team für einen begrenzten Zeitraum trifft und strukturierte Verbesserungsmethoden auf einen Prozess oder eine Aktivität anwendet. Mit Hilfe zeitlich begrenzter, handlungsorientierter Verbesserungsmethoden lassen sich DMAIC-Projekte beschleunigen.
Six Sigma-Qualität lässt sich durch das Eliminieren nicht-wertschöpfender Schritte wesentlich schneller erreichen. Der effizienteste Weg ein Six Sigma-Leistungsniveau zu erreichen, ist die gleichzeitige Reduktion der Variation von Produkteigenschaften bzw. Prozesskenngrößen und das Anwenden von Lean-Prinzipien zur Eliminierung nicht wertschöpfender Prozessschritte nach dem DMAIC-Prozessmodell. Daher treibt Lean Six Sigma die Verbesserung von Qualität, Geschwindigkeit und Kosten gleichzeitig voran. Somit ergänzen sich die beiden Ansätze „Lean“ und „Six Sigma“ in komplementärer Weise.
Ein systemischer Ansatz wie ihn Lean Management mit seinen Werten und Prinzipien bietet, sowie eine klar definierte Projektmanagement-Organisation mit einem Ausbildungspfad und entsprechenden Qualifikationsstufen nach Six Sigma eröffnet darüber hinaus die Chance, Lean Six Sigma nachhaltig in der Unternehmenskultur zu verankern.